2. Fall

Eine 43-jährige Patientin entschloss sich zu joggen, weil sie leichtes Übergewicht bemerkte, und weil bei ihr erhöhte Blutfette nachgewiesen wurden. Täglich lief sie in neuen Turnschuhen eine halbe Stunde lang auf hartem Untergrund . Durchzuhalten hat ihr große Willenskraft abverlangt. Aber sie schaffte es, ihr selbstgesetztes Pensum durchzustehen. Jedoch nach vier Tagen traten Schmerzen im Mittelfuß auf; diese zwangen eine Pause einzulegen.

Es bestand eine deutliche Weichteilschwellung im Bereich des Mittelfußes. Keine Schwellung des Unterschenkels. Regelrechte arterielle Pulse. Keinerlei Hautveränderungen.

Als nach zehn Tagen noch keine Besserung eingetreten war, veranlaßte man die MR-Untersuchung.

In der (als typische Suchsequenz bekannten) STIR zeigt das Metatarsale IV im Gegensatz zu allen übrigen Mittelfuß- und Fußwurzelknochen ein massive Signalvermehrung (hell!). Dabei handelt es sich bis zum Beweis des Gegenteils um ein Marködem. Dieses wird in einer zentralen Zone des Schaftes von einer signalfreien "Linie" unterbrochen. Das Ödem setzt sich auch in die paraossären Weichteile des Mittelfußes fort.

Auch das T1-Bild zeigt diese Pathologie. Das normale Mark ist im T1-Bild hell (Fettgehalt). In diesem T1-Bild (oben) ist das veränderte Mark des Metacarpale IV aber dunkel, ebenso das umgebende Weichteilgewebe. Etwas Pathologisches (wahrscheinlich Ödem) hat das Fett verdrängt.

Auch andere Sequenzen bestätigen den pathologischen Befund; so zeigt ein Gradientenecho T2* (hier nicht gezeigt) deutlich eine helle Signalvermehrung und begleitendes Weichteilödem.

Beide Sequenzen - STIR und T2* - demonstrieren im Knochen innerhalb des Marködems einen signalarmen Defekt: Der helle Spongiosaraum wird durch eine querverlaufende schwarze Linie unterbrochen.

Diagnose: Typische Marschfraktur des Metatarsale.

Synonyme für "Marschfraktur des Metatarsale" sind

    * Stressfraktur
    * Ermüdungsbruch
    * Chronisches Trauma ohne ossäre Vorerkrankung.
    * Überlastungsschaden des gesunden Erwachsenen

Das Wort "Insuffizienzfraktur" wird reserviert für die Fälle, bei denen das chronische Trauma einen vorgeschädigten Knochen befällt; also z.B. bei Osteomalazie oder bei Osteoporose.

Alle genannten Diagnosen - ob am gesunden oder Kranken Knochen - haben einen Oberbegriff: Chronisches Trauma

Ein anderer wenig gebrauchter aber sehr treffender Oberbegriff ist: Ossäre Insuffizienz.

Der weitere Verlauf dieses speziellen Falls der Marschfraktur des Metatarsale IV gestaltete sich sehr unspektakulär. Unter Schonung (und mit besser geeignetem Schuhwerk) waren die Beschwerden in wenigen Tagen abgeklungen. Nach fünf Wochen erfolgte ein vorsichtiger Trainingsaufbau, der ohne erneute Beschwerden vertragen wurde.

Noch häufiger als der 4. ist der 2. und 3. Mittelfußknochen betroffen. Bei der "Stressfraktur des Erwachsenen" ist fast immer der Schaftbereich betroffen.

Im Jugendalter dagegen erweisen sich der Wachstumskern und die Wachstumsfuge als die Orte verminderter Resistenz.

Die Autoren vermuten, daß manche "Aseptische Nekrosen" unter die "jugendlichen Überlastungsschäden" einzuordnen sind.

Die Diagnose der Stressfraktur ist schwierig:

Der Schmerz setzt häufig nicht während der Überlastungssituation ein, sondern tritt erst mit Verzögerung auf. Ablenkung, Konzentration und Endorphin-Ausschüttung mögen dabei eine Rolle spielen.

Einem Trauma als Ursache einer Erkrankung kann verborgen bleiben. Dies gilt besonders für ein chronisches Trauma. Bei Trauma hat man die Assoziation "Unfall" und denkt nicht an den protrahierten Unfall: Die Überlastung. Solche Patienten können als Tumorerkrankungen oder Infektionen verkannt werden.

Im Anhang gehen wir auch auf psychologische Zusammenhänge bei der Pathogenese des chronischen Trauma ein.

Warum trifft die ossäre Insuffizienz gerade eine bestimmte Körperseite?" Warum gerade eine bestimmte Region? - Wir können vermuten, daß in einer Region die Belastung besonders hoch ist u8nd nur dort die Grenze der Toleranz überschritten wird. Die Belastung einer bestimmten Region ist sozusagen die "Spitze des Eisberges." Extreme Belastungen können auch bilaterale Überlastungsschäden und solche in mehr als einer Lokalisation hervorrufen.

Unsere beiden ersten Erkrankunsfälle sind Frauen; Männer sind noch häufiger betroffen. Belastung wird vom Mann gefordert. Die Gesellschaft (bis hin zur Sportmedizin) suggeriert eine "Pflicht zur hohen Leistung." Was verpflichtend ist, muß doch auch möglich sein. So schädigen sich viele Patienten nicht nur, sie sträuben sich auch gegen die Therapie, die mit dem Akzeptieren von Grenzen beginnt.

Gute Sportlehrerinnen und -Lehrer steuern duirch "Trainingmodifikation" den krankmachenden Einstellungen frühzeitig entgegen.