In der Barockzeit hat Richelieu, der starke Mann des Franzosenkönigs auch in dieser Region Geschichte geschrieben. Es ging damit los, dass R. den Parlamentariern Rechte entzogen. Die Sitze im Parlament konnte man sich kaufen und sie waren einträglich. In dem Aufstand von Aix wehrten sich also die ihrer Pfründe beschnittenen Parlamentarier und planten die Revolte. Sie flüchteten sich in die Burg von Les Baux und annektierten sie. Richelieu reagierte mit Belagerung. Er löste diese Belagerung aufgrund finanzieller Überlegungen mit einem Kompromiss, der die Belagerten zwang, die Burg zu schleifen. Das kam billiger als eine endlose Fortsetzung der Kriegshandlungen.
Künstler haben sich inzwischen des Dorfes bemächtigt. Leider gibt es - wie so oft - viele Imitationen der Impressionisten. Das mittelalterliche Leben auf der Burg mit den Minnesängern, mit dem Wahrsager Nostradamus etc. wird aber gut und lebendig demonstriert.
Auf der Rückfahrt von Les Baux zu meinem Quartier entschließe ich mich doch nach Arles hinein zu fahren. Hier ist der große Boulevard entlang der Stadtmauer abgesperrt. Durchsagen in verschiedenen Sprachen betonen, dass jedermann für sich selbst verantwortlich ist. Das klingt ja abenteuerlich. Die Stadtjugend hält sich aber betont gelangweilt diskutierend, telefonierend, rauchend mitten auf der Straße auf. Schließlich ertönt ein - offenbar lange erwarteter - Schuss und eine Herde schwarzer Stiere jagt, eingekreist von Reitern auf weißen Araberpferden die Straße entlang. Am Ende der Straße werden die Stiere in bereitstehende Container getrieben. Dann erfolgt das Ganze in umgekehrter Richtung: Stiere werden aus den Containern hinaus auf die Straße zurück getrieben. - Die sportliche Leistung besteht darin, den Stieren irgendwelche Dinger an ihren Hörnern abzunehmen. In meiner Anwesenheit hat es keiner versucht. Ich hatte auch gar keine Lust irgendwelche Schlagadern abzudrücken.
Im Grunde ist das Ganze eine Verladeübung. Die berittenen Hirten beherrschen das Stiertreiben tatsächlich mit größtem Geschick. Noch erstaunlicher ist die Ruhe der Erwachsenen, wenn ihre halbwüchsigen Kinder sich innerhalb der Absperrungen aufhalten. Die übrigen Zuschauer sind interessiert, aber nicht ausgelassen. Offenbar gibt es das Schauspiel mindestens einmal im Jahr. Es ist eine von vielen Attraktionen der Feria.
Sogar eine Paella hat man für mich auf dem Festplatz nahe des Boulevard vorbereitet. Das wäre doch nicht nötig gewesen.
Für diese Riesenpfanne sind so 3 Stunden schweißtreibender Arbeit nötig. Ich konnte die Vorbereitungen beobachten und war einer der ersten Gäste.
Zur Feria gehört weiterhin die Musik: In der ganzen Stadt wimmelt es von Blaskapellen, die von Straßenecke zu Straßenecke ziehen.
Bei der Feria spielen auch die "schönen Arleserinnen" eine große Rolle. Bei den Umzügen dürfen sich minderjährige, aber auch schon sehr reife Arleserinnen so richtig "aufbretzeln" und ihren weltweiten Ruf bestätigen.
Vor dem Rathaus wird eine Art Flamenco getanzt. Meine Beschreibung als "Flamenco" empfände man hier als sehr unpassend. Es ist natürlich ein ganz provenzalischer und keinesfalls ein andalusischer Tanz.
Berühmt ist die romanische Kirche St. Trophime mit dem teils gotischen, teils romanischen Kreuzgang. - Für St. Trophime ist charakteristisch, dass hier in der Romanik die Gotik erfunden wird, sie ist vorweggenommen. Unter den expressiven Plastiken fallen die der Verdammten in der Hölle am meisten ins Auge.
Vor dem Portal versammeln sich zahlreiche Japanerinnen und geben ein gutes Fotomotiv ab. - In St. Gilles gibt es eine ebenso berühmte, romanische Kirche mit eindrucksvollen archaischen Ornamenten und Reliefs. Gilles erscheint mir sogar noch schöner als St. Trophime in Arles. Der Ausflug lohnt sich. Mein Gott – eigentlich will ich doch nach Barcelona.
Da mein Auto total eingeparkt ist, muss ich meinen Besuch verlängern. Ich sehe mir das Museum Reattu mit seinen pompösen Bildern aus der griechischen Sage an, dazu Allegorien wie "die Vernunft siegt über das Vorurteil". Auch ein Besuch der Konstantin-Thermen wird eingeblendet. Erst am nächsten Tag: Das berühmte archäologisches Museum, das sehr modern gestaltet ist.
Ursprünglich war Arles aus einer griechischen Handelsniederlassung entstanden. Diese wurde von Marseille aus gegründet. Die Römer bauten einen Kanal zum Meer. Es gibt das fantastische griechische Theater, das Amphitheater und den Circus Maximus, also die Rennbahn nahe dem Fluss Rhône. Arles galt als ein kleines Rom in Gallien. Es war Residenz des Kaisers Konstantin.
Das Amphitheater wurde im Mittelalter zur Burg umfunktioniert; es bekam daher vier Türme und wurde gänzlich zugemauert. Ein ähnliches Schicksal hatte das Theater in Lucca, das war Wohnanlage und ist es geblieben. Wer die Muse hat, kann mal in meinem Betrag "Italien I" nachlesen.
Erst in neuerer Zeit wurde das Amphitheater von Arles soweit restauriert, dass man es wieder als Veranstaltungsort verwenden kann, z.B. für Oper oder Konzerte, für Stierkämpfe, sogar nach spanischem Muster (nicht so unblutig wie die mir sympatischere Verladeaktion auf dem Boulevard).
Von Arles aus hätte sich noch angeboten:
ein Ausflug nach Tarascon, der nahe gelegenen Burg des guten Königs René. Der war auch nicht immer dort. Er residierte hauptsächlich in Aix.
Auch ein Ausflug nach Nîmes wäre keine große Sache gewesen; da hätte mich besonders das Amphitheater, die Tour magne und das "Maison Carré" interessiert. Es ist ein eingemauerter römischer Tempel. Dieses "Vermauern" hat oft antike Bauwerke erhalten z.B. der Athenatempel in Syrakus; so hat es auch beim Amphitheater von Arles funktioniert. (ebenso "erhaltend" sind das Versanden von Häfen, oder die Umfunktionierung von Bauwerken so wie beim Pantheon. Siehe mein Beitrag "Buxbaum 1929 Rom".
Auch beim Amphitheater von Nîmes lassen sich solche Mechanismen der Erhaltung studieren. Es wurde in der Spätantike zur Fluchtburg umfunktioniert, enthielt zwei Kirchen und 200 Wohnungen. In neuerer Zeit sind die 13.000 Theaterplätze zurückgebaut und das Oval wird kultuell genutzt.
Dass die Römer technisch sehr fortschrittlich waren, wusste ich. Der brutale Einbruch am Ende des Römerreiches ist in Arles etwas weniger krass: Auch die frühchristliche Kunst zeigt sehr schöne Werke. Man lernt, dass der Sprung von der römischen Antike zum Christentum nicht überall ein barbarischer Abstieg war, manche Fähigkeiten wurden weitergegeben und sind trotz des großen Umbruchs erhalten geblieben. Vielleicht waren gerade in Arles die römischen Vorbilder so gegenwärtig, dass die alten Kunstfertigkeiten nicht vergessen werden konnten.
Das alte Spital ist sehr interessant, vor allem der Vergleich des jetzigen Zustands mit den Bildern von van Gogh, dem berühmtesten Patienten.