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Los gehts in Alexandroupolis
Schon der Start in Deutschland hatte es in sich: Trotz aller Anstrengungen war es mir nicht gelungen, einen Direktflug nach Alexandroupolis zu finden. Vielleicht hätte ich mich ans Telefon hängen und mit Olympic-Airlines direkt verhandeln sollen. < Heute habe ich etwas mehr Erfahrung: durch "erweiterte Suche" viel Unnützes rauswerfen!>
- Jedenfalls entschied ich mich für den Flughafen Thessaloniki, landete sicher und mietete ein kleines Auto. (Dabei sollte man aber wissen, dass Autofahrten, z.B. durch Athen, nicht für jeden geeignet sind - ich jedenfalls habe den Wagen in Daphni, einem Vorort von Athen, stehen lassen.)
TIPP: Wer diese Reise nachfahren und verbessern will, sollte
Athen direkt anfliegen, einige Tage "autolos" verbringen, anschließend Weiterflug nach Alexandroupolis buchen und erst dort einen Leihwagen mieten. Das ist nervenschonend – und wahrscheinlich preiswerter!
Übrigens: Es war gut, die Peleponnes an das Ende der Reise zu setzen, hat sie doch die größte Dichte an Schönheiten aufzuweisen. (Oder sind die Inseln doch noch schöner?) War es richtig die Inseln auszulassen und sich auf das Festland zu konzentrieren?
Bei mir war es reine Absicht. Die Inseln sind - grob vereifacht - wirtschaftlich besser dran. Sie bieten neben Antikem noch Sonne, Wasser und Strand – ein touristisches Eldorado. Für mich aber ein Grund mehr, meine Sympathie dem "armen Verwandten", dem Festland, zuzuwenden.
Zurück zum Reisebeginn: In Thessaloniki verließ ich das Flughafen-Gebäude durch den "Schengen-Exodus" und machte mich auf die 360 km lange Reise gen Osten zu meinem Ausgangspunkt Alexandroupolis.
Es war eine gute Erfahrung, diese große West-Ost-Achse Nord-Griechenlands auf verschiedenen Wegen kennen zu lernen. Bei den Römern war das die Via Egnatía.
Auch die Türken und später die griechischen Autobahnbauer haben an dieser Verkehrs-Achse gearbeitet und jeweils zeitgemäße Lösungen gefunden.
Reiseberichte sind interessant, weil verschiedene Menschen so unterschiedliche Gewichtungen verwenden. Der eine notiert jeden Bissen, jeden Sonnenstrahl, dem anderen ist das völlig egal. Der eine lebt von Museum zu Museum, der andere ist stolz darauf, keines betreten zu haben„…..
Man muss sich vorstellen, dass auf dieser Route, lange vor den Römern, die Heere des Perserkönigs mehrfach gegen die rebellischen Griechen aufmarschierten sind. In der Gegenrichtung haben Kreuzfahrer die Straße bevölkerten, um nur einige Heerzüge zu nennen. Meist sind alle diese Truppen deutlich verkleinert, deutlich zerstreut und deutlich langsamer zurückgekommen.
Mindestens 400 Jahre besetzten die Türken nicht nur Zentralgriechenland, sondern selbstverständlich auch Thrakien. (Sie sind erst 80 Jahre fort!)
In der kurzen Geschichte von Alexandroupolis stößt man immer wieder auf ein wichtiges Datum: 1922 - der verlorene Krieg gegen die Türkei, einhergehend mit gewaltigen Umsiedelungen und "ethnischen Säuberungen": Das junge Griechenland war übermütig geworden, unterschätzte den trägen, angeblich im Sterben begriffenen Türkenstaat, und griff nach einem Gebiet, um das schon immer gestritten wurde: die ionische Küste Kleinasiens.
Diese Zeit (allerdings nicht mit Schwerpunkt Thrakien) beschreibt Nikos Themelis in seinem Roman "Jenseits von Epirus". Ein Roman, in dem der Autor phantasievoll die Lebensgeschichte seiner Vorfahren nachempfindet. Ein Roman um Familienstücke, (die bei ihm zu Hause auf der Kommode verstaubten), um die sich die abenteuerlichen Jugenderlebnisse seines Großvaters ranken. Durch die Schilderung schwerer Verfehlungen einzelner Vorfahren vermeidet er, die damalige aggressive, unsinnige Politik direkt anzuprangern. In dem Roman deutet der Autot die sich anbahnende Katastrophe mit den grausamen "ethnischen Säuberungen" an, ohne ins Detail zu gehen. In Smyrna, dem heutigen Izmir, gab es die schlimmsten Masaker.
Bei den Vertreibungen von 1922/23 kamen die moslemischen Thraker noch relativ glimpflich weg. Es gibt heute noch eine islamische Minderheit, die vom Minarett zum Gebet gerufen wird
In der Vergangenheit und auch noch heute belächelt man die Thrakier, sie gelten als rückständig und unzuverlässig. (Ob es wohl in Bayern vergleichbare Volksgruppen gibt?)
Man muss in Griechenland schon unaufmerksam sein, um nicht mit Geschichte konfrontiert zu werden. Ausgenommen ist die Stadt Alexandroupoli, die sogar den Griechen nicht allzu bekannt ist und die im Internet nur bruchstückhaft, wenn überhaupt, dargestellt wird. Alexandroupolis wurde vor gut 100 Jahren gegründet. Der Name kommt nicht von Alexander dem Großen, sondern von einem (nicht bayerischen) "Gastarbeiter", dem König Alexander.
Zum Praktischen: Ich habe in Alexandroupuli gut und preiswert gegessen. Meine Taverne brauchte weder einen Namen, noch eine Homepage; sie lebt von der Empfehlung derer, die schon mal dort und von der Küche, einschl. der Rechnung, dem "Logariathmó", angetan waren. Die Straßen sind, entgegen manchen Vorurteilen, gut in Schuß.
Die Stadt ist ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt,
- sowohl für die Touristen Richtung Türkei,
- als auch für Reisende zur Insel Samothraki, welche in etwa 50 km Entfernung felsig aus dem Meer ragt.
Vom Bahnhof fahren täglich mehrere Züge nach Athen und Istanbul.
(Dieses "Wort: Istanbul" wird man natürlich nicht aussprechen und auch nicht auf einen Fahrplan schreiben). Wir verstehen die Griechen ein bisschen: Welch eine Idee, das große Konstantinopolis umzubenennen! Die Haupstadt des Römischen Reiches für 1000 Jahre. Gibt es etwas vergleichbares? Jedenfalls kann es diesen Titel beanspruchen nachdem Rom in den Stürmen der Völkerwanderung untergegangen war.
Eine Ereignis ist das abendliche Leben auf der Uferpromenade, der Volta. Hier trifft sich die kleine Welt am Rande Europas. (Noch einige weitere gefällige Städtchen und Ortschaften mit solchem abendlichen Leben auf der Promenade konnte ich in der Folge kennenlernen.)
Noch ein typisches Beispiel für das anfängliche Sprachproblem: Auf dem 1. Campingplatz (irgendwo zwischen Thessaloniki und Alexandroupolis) sagte man mir: Stellplatz für ein Aphtokineto (= Auto) 40 Euro. Nahm man an, ich wolle den Campingplatz kaufen? Vielleicht konnte man meinen Kauderwelsch nicht verstehen? Es war mein Fehler. Ein Anfänger-Fehler. Beim nächsten Campingplatz hier in A. und auch später, gab es niemals wieder solch ein kurioses Angebot. Im Gegenteil: Man entschuldigte sich, mir, die Gebühr für ein Wohnmobil in Höhe von 8 Euro verrechnen zu müssen.
Überraschend wird es kalt und der Regen prasselt unregelmäßig durch dichtes Laub auf das Schiebedach meines Kleinwagens. Ein kleines Auto ist für einen Einzelreisenden ausreichend. Ich habe lediglich ein Problem mit den kleinen Rädern. Viele Straßen wurden in den letzten Jahren mit einer neuen Auflage versehen, allerdings sind die Kanaldeckel auf dem alten Niveau geblieben, d.h. 10 cm tiefer. Die Deckel sind ja noch gut. - Schwäbisch einleuchtend -. Ungünstig ist nur der Durchmesser meiner Reifen. Bei sämtlichen Autos dieses Typs sind die Felgen-Abdeckungen kaputt gegangen.
< 2010 waren Moni und ich weniger bescheiden: Ein Mittelklassewagen bot mehr Komfort und war geeignet zum eventuellen Campen. Meistens hatten freundliche Griechen für uns ein Quartier.>
Wie geht es nach Alexandroupolis an der Küste weiter?
Für den Plan, die Küste exakt abzufahren, ist Thrakien wenig geeignet. (Zu viele Flüsse, zu wenige Brücken). Vielleicht wäre ein geländegängiges Motorrad eher das Richtige, aber auch damit hätte man seine Schwierigkeiten. Daher bewege ich mich teilweise ins Land hinein (jedenfalls solange die thrakische Ebene reicht) und fahre an 3 markanten Punkten zur Küste zurück:
Maronia,
Porto Lagos,
Avdira
Das erste Hindernis muss bewältigt werden: der Berg Iskaros steht im Weg. Angekommen in Maronia braucht es viel Phantasie, um sich an den archäologischen Reichtümern zu erfreuen. - Als erstes fällt mir Schiller ein, des malerischen "Olivenhains" wegen, der hier ein Theater verbirgt. Eine riesige Befestigungsmauer schließt die ehemals mächtige Stadt ein und natürlich darf auch eine Akropolis nicht fehlen, die einst, auf hohem Felsen erbaut, heute nur noch erahnt werden kann. Noch 3x sehe ich (an diesem und am nächsten Tag) solche Ruinen-Städte, auf denen heute die Ziegenherden weiden. (Am eindrucksvollsten Avdira, die Stadt des Aristoteles).
Auf der Weiterfahrt Richtung Porto Lagos muss ein Zwangsausflug "Weg-von-der-Küste" unternommen werden, um einen Fluss zu umfahren.
Wer sich im rückständigen Thrakien an die "Schäfer-Idylle" gewöhnt hat, staunt über:Komothini, eine lebhafte Uni-Stadt, die von mir einen "Stern" bekommt. (Ich habe Musse und verteile Sterne zwischen * und ***).
(Alte) Minarette sagen uns, dass hier eine Minderheit von Türken und Pomacken beheimatet ist. (Pomacken sprechen bulgarisch - und das in dem Land, über das der Göttervater Zeus persönlich wacht). - Die Auswahl an gutem Kartenmaterial ist auch hier begrenzt. Man müsste, mit deutlich mehr Sprachkenntnissen, gezielt suchen.
Die Küste um Fanari**, proper, leuchtend und
Porto Lagos vorgelagert, hat bestimmt 2 Sterne verdient.
Porto Lagos selbst ist ein Fischernest an einem Kanal, der den Vistonisee mit der Ägäis (Lagune) verbindet. Hier gibt es ein umwerfend schönes Foto-Motiv:der Gang über einen der Holzstege zur frisch gekalkten Kapelle des heiligen Nikolaos. Es könnte auch der heilige Georg sein. (Georg ist sehr wichtig, aber Nikolaos sticht alle Heiligen aus). Und um es zu übertreffen läuft man weiter - über den nächsten Steg - zur nächsten Kapelle, zum nächsten Inselchen. Cover- Bilder. Ansonsten ist Porto Lagos weniger interessant als sein Ruf dies gleuben lässt. Kreuzfahrer haben hier gerastet. Heute fällt der Ort durch phantastische Vögel (Re er, Flamingos, Störche, Pelikane und Enten) auf. Diese überwintern, oder stoßen weiter in den Süden vor. Wahrscheinlich geht ihre Route via Bosporus nach Kleinasien, Syrien; im Roten Meer werden sie sich einen saftigen Fisch angeln.
Am Schilf des Sees entlang geht´s ein kurzes Stück auf der Hauptstraße nach Xanthi, um dann wieder ins Land versetzt, in größerem Abstand, der Küste zu folgen. Den einzigen Übergang über den Nestos-Fluss habe ich punktgenau erwischt. Glück gehabt. Mein nächstes Ziel liegt wieder am Meer: die ehemals riesige, untergegangene Küstenstadt Avdira, die 700 bis 600 v.Chr. bereits von 20 000 Menschen bewohnt war.
Aus dieser Stadt kam der Philosoph Demokrit. Ein Leben lang hat er sich mit der Frage gequält, ob beim fortwährenden Teilen von Materie schließlich unteilbare Teilchen übrigbleiben. Als Ergebnis seiner andauernden Migräne stand für ihn fest: es gibt sie, die unteilbaren Teile. Wir Barbaren allerdings unterliegen dem Missverständnis, dass er dafür das Wort Atome prägte. Jetzt, auf dem Gräberfeld, wurde mir klar, was Demokrit geholfen hat: Für die Griechen sind die Menschen Individuen, sie sind un-teilbar ="A-toma"= Personen. Demokrit hat nie behauptet, die Materie bestünde aus Atomen. Er hat gesagt, auch die Materie bestünde aus Personen. Was aus einem Mischmasch von Deutsch und Griechisch entstehen kann!
Wie man sich über ein solches Problem den Kopf zerbrechen kann, hat mich schon immer beschäftigt. Ich bin sicher, dass ihm seine Ehefrau, wegen des unablässigen Grübelns über "Atome", die Scheidung angedroht hat.
Noch schleierhafter ist mir, wieso er Recht hatte und wieso es tatsächlich von außerordentlicher Bedeutung ist, die Materie, aus Atomen zusammengesetzt, zu verstehen. Denn die Konsequenz war ihm durchaus bewusst: Wenn diese Dinge unteilbar sind, dann verschwinden sie auch nicht einfach von der Bildfläche nur deshalb, weil man vielleicht ein Feuerzeug daran hält.
Es dauerte noch 2000 Jahre und über Avdira weideten längst die Schafherden, bis der Franzose Lavoisière sagte: " Bei einer chemischen Reaktion wiegt das Zeug am Anfang und am Ende genauso viel."
Wer diese Diskussion nicht so spannend findet, hat trotzdem ein wichtiges Wort gelernt. Beim Kauf jeder Fahrkarte und jeder Eintrittskarte kann man nach der Zahl der Atome = Personen gefragt werden. Es sei denn, man verrät sich durch seine "Tracht" sofort als Oberbayer oder Texaner.
Natürlich hat einer, der Demokrit heißt und über Atome nachdenkt, auch über andere Dinge nachgedacht: U.a. wie man für weniger bestechliche Beamte sorgen, wie man ein Staatsdefizit verhindern und wie man im Hochsommer den Durchfall vermeiden kann. Hängengeblieben sind die "Atome".Interessant ist, dass Demokrit sich nicht mit dem "Wünschelrutengehen" beschäftigt hat. Wisst ihr warum? In dieser versunkenen Stadt habe ich es verstanden: Das war ihm einfach zu dumm.
Solche Gedanken gehen mir beim Umherstreifen durch den Kopf. An einem Kasten aus Stein ist der Deckel verschoben. Neugierig greife ich hinein - und halte einen menschlichen Oberschenkelknochen in der Hand – und lege ihn auf seinen Platz zurück!
Gelegentlich ist in Griechenland manches genial; es wird erwartet, dass der Tourist nicht alles zusammenstiehlt und den Toten ihre Ruhe lässt.
Apropos Menschenknochen: da fällt mir etwas ganz Ausgefallenes, Vergessen geglaubtes ein: Bei so einer großen Stadt wie Avdira ist zu erwarten, dass es noch andere Sonderbegabungen gab: Protagoras etwa, den Sophisten.
Einen Dichter wie Dostojewsky hätte es sicher gereizt hätte, Jesus und Protagoras miteinander bekannt zu machen.
In den Schulbüchern sind die Sophisten immer die Bösen, stellten sie doch dem alten Sokrates freche Fragen (nachdem sie von ihm freche Fragen gestellt bekommen hatten). Sophisten waren aber ganz sympathische Leute; sie waren beseelt von einem Glauben an die Kraft der Vernunft.
Dieser Protagoras hat hier in Avdira etwas ganz Revolutionäres gesagt: "Der Mensch ist das Maß aller Dinge".
Natürlich hat er noch mehr gesagt, weil er länger gelebt hat und dazu noch ein Grieche war. Ich bin sicher, er hat auch gesagt "das Maß ist wichtig". Wenn man die Akropolis sieht versteht man, dass die Bauleute etwas vom Maß verstanden). Und er hat gesagt: "Was ist messen?". Und dann auch noch "der Mensch als Maß"? Der Perserkönig hat diesen Satz überhaupt nicht verstanden; er hat bei ihm Schwindel und Übelkeit ausgelöst. Ein Mensch? Welcher Mensch denn? Ist dieser Mensch überhaupt vom König autorisiert? Einzig der König könnte vielleicht das Maß aller Dinge sein.
In dem Satz des Protagoras verbarg sich schon die halbe Französische Revolution und die halbe Unabhängigkeitserklärung.
Man könnte denken, diese Philosophen hätten ein Loblied auf ihr wunderbares Avdira gesungen. Weit gefehlt. Bitter haben sie sich über die faulen und dummen Leute beklagt, die die Stadt bewohnten. Der Mensch aus Avdira war der "Schildbürger" im klassischen Griechenland. Eigentlich müsste am Ortseingang des schönen Badestrandes, am kleinen Hafen, ein Schild stehen: "Partnerstadt von Schilda und Krähwinkel". (Letzteres hat Heinrich Heine erschaffen, um allen Spießbürgern eine Heimat zu geben).All diese Orte bestehen auf ihren kleinen, feinen Unterschieden:Die Leute von Advija waren einfach nur faul. Die von Schilda unterlagen sehr menschlichen Denk und Rechenfehlern. Die Bürger von Krähwinkel sind nur faul was die eigene Verantwortlichkeit betrifft. Sie rufen immer nach der weltlichen und göttlichen Obrigkeit.
Avdira gefällt mir sehr gut!!! Die Stadt liegt nahe einer Bucht, gemeinsam mit Nea Péramos und Nea Iraklítsa Auf kleinen Wegen, zwischen Dünen und Weinbergen, kann man jetzt richtig die Küste entlang bummeln und genießen.
Alle nächsten Dörfer heißen irgendwas mit -elephterios. Im Süden, scheinbar weit draußen auf dem Meer, ist der heilige Berg Athos zu erkennen.