In Italien beschäftigen wir uns eigentlich nur noch mit einem unserem Quartier nahegelegenen Ort: Ventimiglia.

Abb.14 Ventimiglia von Osten

Unser Quartier war noch ein Stückchen weiter grenznahe: Mortola Superiore. Von der Staatstraße scharf abzweigen Richtung Landesinnere. Vier enge 340 Grad Kurven durch parkende Fahrzeuge. Mülltonnen waren weitere Herausforderungen. Man gelangte auf einen gefährlich anmutenden Grat: es geht links und rechts steil hinunter. Dann geleiten freundliche Wegweiser zu unserem Quartier. Die Wirtin war eine geniale Künstlerin, solange sie nicht nach der Natur malen musste.

Abb.15 Unserr geniales Quartier

Beim Aktmodell waren die Schulter- und Hüftgelenke etwas untypisch eingepflanzt. Sie machte uns gleich bekannt mit der Nachbarin, ca. 80-jährig, die hatte in diesem Flecken mal ein Café betrieben, geht regelmäßig zum Tanzen, von wo sie sehr spät nach Hause kommt und letztendlich erfolgreich ihren Parkplatz über dem Abgrund einnimmt. Es erübrigte sich die Frage, ob das schon mal schief gegangen war. Das ganze Ensemble unserer Wirtin besteht aus ca. 20 Einheiten, von denen man sagen kann, sie sind absolut nicht in Reih und Glied ausgerichtet. Im Gegenteil: Jeder Raum hat eine andere Richtung, eine andere Höhe und war über nach oben oder nach unten führenden Treppen, Unterbögen, schmale Gänge zu erreichen. Bögen, Strebepfeiler und Fels garantierten Sicherheit. Unser erstes Quartier hatte eine einige 100 Jahre alte Türe, innen oftmals verstärkt. Die ideale Wohnung für jemanden, der viel Post zugestellt bekommt. Man konnte die Post sowohl unter der Tür durchschieben, als auch daneben oder darüber einwerfen, denn die Türe passte seit 150 Jahren nicht mehr so gut.  Die Tür machte auch ein kleines Problem beim Aufmachen, was nur zu einem Drittel möglich war. Von dort kommt man in mehrere ineinander gehende Räumlichkeiten, teils mit groben Steinen überwölbt, teils mit wuchtigen Balken eingedeckt. Alles mit Kunstwerken verschönert. Leider funktionierten verschiedene Annehmlichkeiten nur teilweise. Das Fenster war nur zu öffnen, wenn man das Bett etwas nach unten drückte; aber man gelangt nur dorthin, wenn man das Bett erst nach links verschob. Zur Küchenbeleuchtung muss man nach einem geheimen Schema die Birne nach rechts und links drehen, wonach sie üppig aufleuchtet. Eine Lampe im Wandschrank leuchtete dagegen andauernd, bis sie schließlich von selbst ihren Geist aufgab. Der Wasserhahn wackelte verdächtig. Wäre alles ganz romantisch, wenn nicht ein kleiner Sitzplatz im Freien fehlen würde. Es gab zwar eine Sitzbank, aber die dortigen Sitzkissen wurden nach ihrem Einkauf grundsätzlich bei keinem Regen ins Trockene verbracht. Da Regengüsse gar nicht zu selten sind, hat sich in den Kissen eine lebhafte Flora und Fauna angesiedelt. Der ureigenste Zweck der Kissen, drauf zu sitzen, bedeutete eine Mutprobe, die nur von Menschen zu meistern ist, die in starkem Einklang mit der Natur leben.

Unsere Wirtin hatte vorausgeahnt, dass wir die Besonderheiten dieses Domizil nicht ausreichend würdigten und uns nach zwei Tagen ein anderes zugewiesen. Dieses hatte eine einwandfreie Tür; nur hatte die Chefin den Schlüssel vergessen. Die Küche litt unter einem Mangel an der segensreichen Wirkung von Wasser, Scheuermilch und den notwendigen Textilien. Brauchbares Geschirr fehlte. Die Dusche war mit einem raffinierten System an Düsen ausgerüstet, welche aber bei voller Funktion das Klo hoffnungslos unter Wasser setzten. Die Klospülung bedurfte eines ausgeklügelten Handgriffes, um sie wieder zum Stillhalten zu bewegen und zu erreichen, dass sich der Wasserkasten vollständig auffüllte. Auch hier gab es fantasievolle Kunst von deftig-erotisch bis lieblich-verspielt.

Wir durften auch das Atelier besehen. Es befand sich im Freien und war für 1 bis 28 Kunstschüler eingerichtet. Bei voller Besetzung mussten einige pausieren und die kulinarischen Köstlichkeiten des Landes kosten, während die anderen mit Hammer oder Schnitzmesser arbeiteten. Wir hätten dieses Quartier zu unserem neuen Lebensmittelpunkt gemacht, aber ein Ereignis, an dem unsere Wirtin völlig unschuldig ist, nahm uns die Entscheidung ab.

Ausgelassen habe ich den Besuch der Altstadt von Ventimiglia. Ein Abenteuer, allerdings für die wenigsten Menschen ein Ort zum Verweilen. Markant ist dieses historische Pflaster alle Mal. Der Eindruck ist am stärksten, wenn man von Osten aus der Neustadt kommt: Es türmen sich die Häuser am Westrand des Flusses zu einer eindrucksvollen Kulisse. 

Eine attraktive Pension sahen wir nur einmal, ein Gasthaus von der Art einer mitteleuropäischen Pizzeria. Dagegen wuchsen viele Kräuter aus den Regenrinnen und tauchen das Gewirr der Rohre in ein sanftes Grün. Vielleicht wurde die Fauna auch durch gehaltvollere Abwässer genährt und erfrischt. 

Die Hauptkirche (mit Baptisterium und Krypta) ist unbedingt sehenswert: in den frühromanischen Kirchenkörper ist ein spätromanisches Gewölbe eingepflanzt. Das heißt sämtliche eckigen Säulen sind durch zahlreiche halbrunde Pfeiler verstärkt, um viel höher nach oben zu streben und ein mächtiges Steingewölbe zu tragen. Selten sieht man den Übergang von einer Früh- oder Vor-Romanik zu einer Hoch-Romanik so deutlich, sodass es auch dem Nicht- Fachmann auf den ersten Blick verständlich wird. 
Demgegenüber ist der Unrat am Strand befremdlich. Da hatte man irgendwie aufgegeben. Man meinte, man sei in Deutschland.