Jetzt kommt der Herausgeber zu Wort, der dem Hermann Fröhling freundschaftlich verbunden war, seine Erinnerungen abgeschrieben hat und als Mediziner etwas Allgemeinverständliches sagen kann über die Erkrankungen, mit denen er zu kämpfen hatte.

Epikrise ist ein in der Medizin gebräuchlicher Ausdruck; es ist das Abschiednehmen aus ärztlicher Sicht, die ernste, kritische Rückbesinnung auf das Leben und das Leiden eines Menschen.

H.F. erlebte innerhalb eines Jahres eine Fülle von lebensbedrohlichen Komplikationen, aber auch die beste aller möglichen positiven Reaktionen von Erkrankungen, nämlich uneingeschränkte Menschlichkeit durch engagierte russische, deutsche, jüdische, ungarische Mediziner-und Medizinerinnen, sowie Krankenschwestern, die hart und klug um sein Leben gekämpft haben. So blieb er seiner Familie und uns erhalten und hat uns so viele Jahre mit seiner Dichtkunst beschenkt und bereichert.

Unserem H.F. blieben im Alter qualvolles Leiden und ein qualvoller Tod erspart. Er konnte sich glücklich preisen, dass seine geistigen Fähigkeiten und die Fähigkeiten seines Herzens ihm und allen, die ihm nahestanden, bis zuletzt erhalten blieben.

Aufregend, schrecklich, aber auch dramatisch ist seine Krankengeschichte aus der Kriegsgefangenschaft. Das war 70 Jahre vor seinem Tod.
Er schildert seine Geschichte noch nach Jahrzehnten mit vorzüglicher Beobachtungsgabe und scharfer Erinnerung:

Malaria, Ruhr, Dystrophie bei Mangelernährung, Typhus, Pneumonie, Lungentuberkulose, Eitrige Rippenfellentzündung.

Alles das hat er durchlitten. Die Krankenversorgung war katastrophal. In einem düsteren Nachkriegschaos leuchteten immer wieder - wie helle Sterne - unverhoffte Leistungen der Menschlichkeit auf, die er von seinen vormaligen Feinden erfahren konnte.

Malaria ist eine Krankheit, die die Menschheit durch Ihre wechselvolle Geschichte verfolgt und sie seit ihrem langen Weg aus dem Herzen Afrikas kontinuierlich dezimiert hat.
Wir sind überrascht, dass die Krankheit in der Region Stalingrad so häufig auftrat. Im Zweiten Weltkrieg hatte sie sich bis in den Norden Europas, Asiens und Amerikas ausgedehnt. Die Ursachen sind geheimnisvoll. Wenn es die Zerstörung der Zivilisation durch den Krieg war, warum hat sie auch Amerika betroffen?

Heutzutage dehnt sich die Malaria wieder aus. Zusammenhänge mit der globalen Erwärmung werden diskutiert. Sie ist immer noch ein Problem für die Welt-Gesundheit, und es fallen hier jährlich weit über 1 Million Menschen zum Opfer. Je jünger die Angesteckten, desto größer ist die Lebensgefahr.

Malaria ist eine Infektion durch einen Einzeller (Plasmodium), welcher durch eine Stechmücke Anopheles (Moskito) übertragen wird. Typische Symptome sind das sehr hohe rhythmisch im Intervall von einer bestimmten Zahl von Tagen auftretende Fieber mit heftigem Schüttelfrost, so wie es H. F. sehr treffend beschreibt. (Bei einer besonders gefährlichen Form der Malaria besteht dieser Rhythmus nicht.)
In einem solchen Schub gehen die befallenen roten Blutkörperchen zugrunde, und der freigesetzte Blutfarbstoff wird über die Niere ausgeschieden (Schwarzwasserfieber).

Ruhr (auch Dysenterie) ist eine Darminfektion mit Bakterien (Shigella/Shigellen) oder (im weiteren Sinne) mit Amöben. Die Keime bleiben im Darm und erscheinen nicht im Blut. 

Allerdings kann man aus dem Blut Antikörper gegen diesen Keim bestimmen und dadurch die Erkrankung beweisen.
Ruhr tritt auf bei unzureichender Trinkwasserversorgung und verunreinigten Nahrungsmitteln. Fliegen spielen eine Rolle; der Sommer ist eine gefährliche Jahreszeit. So im Fall unseres H.F. Die Krankheit ist heute noch eine Gefahr in Ländern mit hygienischen Defiziten.
Entsprechend verhält sich heute der Tourist in solchen Ländern: kein rohes Obst und Gemüse, Desinfektion nach Händeschütteln, kein Leitungswasser (eine Regel die für unseren Lebensraum - Gott sei Dank - nicht gilt!).

Leitsymptome der Ruhr sind kolikartige Bauchschmerzen und sehr häufige und schmerzhafte Durchfälle (Tenesmen). Sie sind durchmischt mit Schleim (weiße Ruhr) oder Blut (rote Ruhr).
Die Ruhr kann über den Verlust an Salzen und an Flüssigkeit zum Nieren-Kreislauf-Versagen führen und damit lebensbedrohlich sein. Auf den Salzhaushalt und den Kreislauf richtet sich die Therapie, verknüpft mit der Identifizierung der Keime und der gezielten Antibiose.
Weitere Komplikationen sind die chronische Dickdarmentzündung und allergische Reaktionen, zum Beispiel in den Gelenken, in Nerven und in der vorderen Augenkammer.

Den Typhus habe ich nie erlebt. Um 1900 gab es zahlreiche dramatische Typhusepidemien in Deutschland, die viele Menschenleben gefordert, aber auch die Modernisierung der Gesundheitsvorsorge und Trinkwasserversorgung entscheidend vorangetrieben haben. Diese Epidemien brachen gerne in Militäreinrichtungen, in verwahrlosten Stadtbezirken, aber auch in gewissen ländlichen Regionen aus (Trinkwasserversorgung und Abwasser nicht getrennt, etc.)

Unser akademischer Lehrer Ernst Wollheim hat den Typhus im Staatsexamen regelmäßig geprüft. Er hatte die Vorahnung, dass solche Epidemien wieder vorkommen können, womit er Recht behalten sollte, was die Entwicklungsländer betraf.

Der Typhus abdominalis wird durch einen Keim verursacht, welchen Salmon entdeckt hat. Infektionsquelle sind der Stuhl und der Urin von infizierten Menschen. Die Übertragung erfolgt indirekt durch Nahrung und Wasser. Wer in der bakteriologischen Forschung etwas auf sich hielt, hat einen eigenen Stamm entdeckt und mit seinem Namen benannt; oft sind diese Stämme auch nach dem Ursprungsort der Epidemie benannt, Marseille, Agadir, El Tor. Bei unterschiedlichen Stämmen und unterschiedlichen Menschenkindern sind die Krankheitsbilder nie ganz gleichförmig. -
Ich selbst habe einen gewissen Wandel in der Medizin miterlebt: Wie beforscht man solche Krankheiten? Die Alten haben mit größter Sorgfalt die Krankengeschichten beobachtet. Sie hatten durch ihre Beobachtungsgabe eine großartige diagnostische Sicherheit.

Etwa in der Mitte des letzten Jahrhunderts sind die Chemie und Bakteriologie immer dominierender geworden. Wir kümmern uns heute viel mehr um die Frage, wie man die Keime nachweist, und für den Fall des Nachweises, wie man die Keime vernichtet. Wir sind heutzutage misstrauisch, was das Auge, die tastende Hand und das Hörrohr uns vermittelten und vermitteln. Die Kunst des klinischen Blickes wird vernachlässigt zugunsten von chemischen Analysen und Apparaten.Trotzdem versucht die Medizin in alter Tradition ein klassisches Krankheitsbild zu definieren; dies teilt sich im Falle des Typhus in vier Stadien von jeweils einer Woche Dauer:

Im ersten Stadium steigt das Fieber allmählich, bis es dauerhaft hoch bestehen bleibt. Dazu kommt eine ausgeprägte Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Kopfschmerz und Bronchitis. Diese Benommenheit hat der Krankheit ihren Namen gegeben und wird auch von H. F. markant geschildert. Er beschreibt, wie es ihm nicht mehr gelang, die Tage zu zählen.
In der zweiten Woche lassen sich Bakterien im Blut finden. Sie siedeln sich in kleinen Hautarealen ab, machen kleine rosarote Flecken; oft kommt es erst jetzt zu Durchfällen.

In der dritten Woche verschwinden Hautflecken, es kommt zu Darmblutungen. Der Darm, der Eintrittsort der Keime ist sehr sensibel. Es drohen als Komplikationen außer der Darmblutung der Darmdurchbruch (Perforation). Gefürchtet sind Absiedlungen von Keimen, z.B. in den Knochen.
In der vierten Woche zeigen sich Heilungstendenzen, das Fieber fällt über Nacht ab.

Der Beweis der Krankheit erfolgt durch den Nachweis der Keime im Blut (oder Stuhl). So böse die Keime sind, sie lassen sie sich nicht gerne mit der Post verschicken, (und man sollte sie nach alter Empfehlung zum Transport in Rindergalle oder in Bouillon mischen).
Der Keimnachweis gelingt aber nur zu bestimmten Phasen der Erkrankung, und insofern muss man in manchen Phasen auf alle modernen Methoden verzichten und sich wieder auf den klassischen klinischen Blick verlassen.
Die alten Medizinmänner beschrieben charakteristische Veränderungen im Blutbild: überraschend niedrige weiße Blutkörperchen und sehr niedrige Eosinophile (eine besondere Form dieser Blutkörperchen, die sich durch ihre Vorliebe für einen bestimmten Farbstoff unterscheiden lassen.

Also unser H. F. wurde wieder in eine hygienisch desolate Welt von „Slums des Jahres 1900“ zurückversetzt. Zusätzlich zu der lebensfeindlichen Umwelt waren durch mehrere durchgemachte Erkrankungen seine eigenen Abwehrkräfte vermindert.

Bezüglich der eitrigen Entzündung von Brust und Rippenfell habe ich eine eigene heilsame Erfahrungen, nämlich, wie schwerwiegend man sich irren kann. Rippfellvereiterung (Pleura-Empyem) gilt bei manchem Zeitgenossen als eine Erkrankung, die durch Entleerungen des Eiters und durch Antibiotika gut zu behandeln ist.

Ich habe mich der kleinen Mühe unterzogen, die letzten 15 Erkrankungsfälle nachzuschauen, sozusagen die eigenen Patienten; dabei gab es eine Überraschung, die ich selber nicht glauben wollte. Entgegen unserem alltäglichen Optimismus ist nur die Hälfte der Kranken wieder gesund geworden. Die Anwendung von Maß und Zahl hilft, die Fehleinschätzungen zu korrigieren.

Wie die Serie der Lungenerkrankungen, die Herr H.F. durchgemacht hat, zusammenhängen, wird unklar bleiben.

1 .Er beschreibt sehr gut eine Rippfellentzündung (Pleuritis): das Knarren des Lungenfells auf dem Rippenfell. Beide konnten sich durch Ihre entzündliche Verdickung und Erstarrung nicht mehr richtig verschieben; es entstanden die charakteristischen Reibegeräusche.

2. Wahrscheinlich kam es aufgrund der Vorschädigungen mit eingeschränkter Abwehr zu einer Lungenentzündung mit den schweren Allgemeinsymptomen.

3. Eine besondere Form Infektionskrankheit, welche die Lunge bevorzugt befällt, ist die Tuberkulose. Sie passt in das Gesamtbild der kasernierten und verwahrlosten Kriegsgefangenen.

4. Die Dystrophie (Mangelernährung) - eindrucksvoll beschrieben anhand der Hungerödeme - hat die Tuberkulose gefördert. - Seit Jahrzehnten sah man bei der Tuberkulose eine gute Ernährung als wichtiges Heilmittel an. -

5. Die bis dahin dramatischste Komplikation im gesamten Verlauf war das Pleuraempyem: eine Infektion der Lunge, wahrscheinlich gar nicht durch den Tuberkuloseerreger, sondern durch unspezifische Erreger wie Staphylokokken oder Pneumokokken, war durch das Rippfell in den Pleuraraum durchgebrochen. Also eine Komplikation (siehe 2). Dieser Raum ist normalerweise nicht vorhanden; die beiden Pleura- Blätter, (das, was die Lunge überzieht, und das, was den Brustraum innen auskleidet) bilden den Pleuraraum. Dieser ist normalerweise gar nicht vorhanden, d.h. er enthält nur einen ganz kleinen Flüssigkeitsfilm. Jetzt hatte - wie H.F. schreibt - stinkender Eiter diesen Raum aufgebläht. Dieser von der Körperabwehr abgeschnittene riesige Infektionsherd ist praktisch nur durch eine möglichst vollständige Entfernung am lebensgefährlichen Weiterwachsen zu hindern. Nur so wird die Überschwemmung des Körpers mit Erregern und giftigen Stoffen gebremst. Es ist außerordentlich schwierig, die verschiedenen kleinen Kammern, die Winkel und Ecken des mit Eiter gefüllten Raumes mit einer - wie er schreibt - möglichst dicken Nadel zu erreichen und trotzdem schonend zu entleeren. Es hat sich ein Retter in der Not, ein (ungarischer) Arzt gefunden, der dieser Aufgabe gewachsen war.

6. Er beschreibt eine weitere Komplikation: Die Unmenge an Eiter im jetzt „raumfordernden“ Pleuraraum hatte die Lunge zusammengequetscht (Atelektase). Diese hat sich nur verzögert, wahrscheinlich erst lange nach der Entlassung aus der Gefangenschaft, wieder entfaltet und dem betroffenen Lungen-Flügel wieder eine (Teil) Funktion gegeben.

Ein Kollege sah hier ein Glück im Unglück: Die pleurale Raumforderung und die Atelektase hat einen tuberkulösen Krankheitsherd zusammengedrückt, dadurch ruhiggestellt und die Ausheilung ermöglicht. Sogenannte Kavernen (tuberkulös verursachte Gewebedefekte – man kann sie sich als „Löcher in der Lunge“ vorstellen-,  Keime auszuscheiden und die Heilung schier unmöglich machen. Tatsächlich könnte es sein, dass diese abgedrückt wurden; dadurch konnten sie ausheilen.

Blick in die Medizin-Geschichte: Man hat Kavernen bereits in den Jahrzehnten zuvor mit drei Methoden behandelt: mit dem künstlichen Pneumothorax, mit der Thorakoplastik und mit Plomben. Bei der ersten Methode füllt man Luft in den Pleuraraum; bei der zweiten verkleinerte man den Brustkasten chirurgisch; und bei der dritten komprimierte man die Lunge mit Fremdmaterial (Öl oder Paraffin). Bei dieser letzten Methode wurde das Material nicht zwischen beide Pleura Blätter, sondern außerhalb des Rippenfells eingebracht. Das ist nun wirklich nur für Spezialisten wichtig.

Über die „Pleura“ kann man sich belesen und u.a. schöne Bilder sehen auf:
wolfgang-g-h-schmitt.de

Bei einer Entgleisung der Körpersalze und einer Verminderung der Körperflüssigkeit, verbunden mit der Einwirkung von Giftstoffen der genannten Keime erlitt H.F. schließlich die ultimativ gefährlichste Komplikation, nämlich einen Herzstillstand. Ein Russe hat ihn erfolgreich wiederbelebt.
Es war noch ein langer Weg, bis er entlassen werden konnte und die Heimat wiedergesehen hat.
Er wurde dem Leben wieder geschenkt. Dafür sind viele dankbar die er damals noch nicht kannte,  seine Familie, seine Mitarbeiter, seine Lehrlinge und alle die, die ihm in späteren Jahren freundschaftlich verbunden waren.