Mitschiffs führte ein Brettersteg hinab in den Schiffsbauch – unser Lager. Zwei Etagen Bretter an der Wand, ohne Stroh oder sonstigen Luxus. Licht von außen nur durch wenige „Bullaugen“ – ansonsten eine spärliche elektrische Beleuchtung…
Hier war alles ganz anders. Ich wurde einer Arbeitsgruppe zugeteilt. Wir marschierten entweder zu einem Landeplatz, um dort Lastkähne zu entladen. Wir mussten zu je sechs Mann aus dem Schiffsbauch Baumstämme herausfischen und mit Traghölzern ans Ufer bringen. Es war eine halsbrecherische Knochenarbeit, vor allem das Wegstück über schwankende Bretter vom Schiff zum Ufer…
Manchmal wurden wir auch in die Ruinenstadt geführt und mussten die ausgebrannten Ziegel abklopfen und in Blöcken von 1 m³ aufsetzen. Das Soll pro Mann und Tag war ein 1 Block. Wenn wir das Soll nicht erfüllten, wurde uns von der sowieso geringen Brotmenge (PROZENTE CHLEB) entsprechend abgezogen. Kein Wunder, dass es körperlich zusehends abwärts ging… Irgendwie hatte mich die Anopheles dann doch erwischt (unseren Doktor übrigens auch!). Ich wurde zum ersten Mal gefährlich krank – Malaria! –.
Bei mehr als 40 °C Außentemperatur und nicht viel weniger Wärme im Schiffsbauch – konnte ich eines Tages nicht mehr zur Arbeit antreten. Die tägliche“ Kommission“ unter Mitwirkung des deutschen Lagerarztes diagnostizierte anhand meines heftigen Schüttelfrostes Malaria. Da lag ich nun alleine auf dem Bretterlager und fror unter meinem und einem Berg von anderen Mänteln. Ich weiß nicht wie lange – es kam mir wie Stunden vor. Vom Zähneklappern völlig erschöpft, war mit einem Mal der Schüttelfrost beendet; und nun begann in mir ein Höllenfeuer zu brennen – stundenlang. Den Mantelberg hatte ich beiseite geschleudert. Die ganze Zeit war ich allein – nur einmal kam unser Doktor vorbei, brachte mir gelbe, bittere Tabletten – ALEPRIN o.ä. – und einen Becher Tee und tröstete mich, hat dann Fieber gemessen (40,5 C.) und erzählte, dass sicherlich alles wieder gut würde. Die folgenden acht Tage verliefen sehr ähnlich – morgens kam der Schüttelfrost, und plötzlich setze das Höllenfeuer ein. Essen kann man da nicht, aber das Fieber machte großen Durst. – Nach diesen acht Tagen war ich endlich fieberfrei. Weil ich völlig geschwächt war, durfte ich noch zwei Tage ruhen. Dann hieß es wieder „DAWEI – RABOTI!“. Malaria ist dort nichts Besonderes, jeder zweite Russe war wie ich vom ALEPRIN abhängig (??)…
Ich kann unmöglich alles Erlebte bis ins Detail berichten. Ich kann jenen, die es nicht selbst erlebt und empfunden haben, nicht mein Gefühl der Verlassenheit schildern, nicht die Sehnsucht nach der Heimat, wenn eine Lokomotive oder ein Wolgadampfer die Sirene ertönen ließ. – Heimweh ist die Schmerzlichste aller Krankheiten, die ich erleiden musste…
Ab und zu kamen wir bei Arbeitseinsätzen mit der Zivilbevölkerung in Kontakt. Dabei ist uns viel Menschlichkeit begegnet, meist versteckt, denn wir waren eigentlich als Feinde zu behandeln…
Ich hatte mich für ein Kommando als Spezialist (Schlosser) gemeldet. Mit einem Dampfer ging es über die Wolga. Versteckt in einem Seitenarm war eine Werft – für etwa drei Wochen unser Arbeitsplatz. Als „Schlosser“ war meine Aufgabe der Transport von großen Sauerstoff – und Acetylenflaschen – vom Lagerhaus zur Schweißerei-Halle. Die Schweißer waren ausnahmslos Frauen, die Männer standen meistens nur in Gruppen herum und machten großen Palaver. Uns taten am Abend Rücken und Schultern weh – die Flaschen waren schwer, und wir hatten nichts mehr auf den Rippen.
Eine andere Arbeit war das Runden von Schiffswand- Platten. Diese waren ca. 3,0 × 4,0 m und etwa 12 mm stark. Gerundet wurde mit einer vorsintflutlichen „Drei-Walzen-Maschine“. An beiden Enden waren große Speichenräder für die drei „Spezialisten“. Wir mussten auf Kommando (– R AS – TWA – TRI –) in die Speichen treten und so die Walzen bewegen. Es ging schwer, aber es klappte. Jetzt war ich sogar Werftarbeiter. – Die Russinnen und Russen waren freundlich zu uns. Unvergesslich die erste Mittagspause. Wir saßen müde um einen Tisch und knabberten unser Trockenbrot, da kam aus der Halle ein Russe mit finsterem Blick. Der deutete auf mich und vier andere „Spezialisten“ und forderte in strengem Ton „DAWEI – IDI“ (Los mitkommen!) Wir folgten dem Mann ängstlich, quer durch die Halle. Hinten war eine Bretterwand, dorthin ging es, und wir fanden einen Tisch mit fünf Schüsseln voll Hirse-KASCHA, je einem Kanten Brot und einem Becher mit heißem Tee…
Wir hatten uns umsonst gefürchtet. Der NATSCHALNIK aber holte jeden Tag fünf andere zur „Sonderspeicherung“, immer mit dem strengen Blick – vermutlich sollten die Genossen nicht mitbekommen, dass er uns Gutes tat – wir waren schließlich die Feinde…
Die Arbeit als „Spezialist“ brachte zwar eine Zulage – ein Stück Brot oder einen Löffel Kascha, aber die körperlichen Anstrengungen zehrten zusehends an der Kraft. In wenigen Wochen war ich von Gruppe II = (Arbeitsgruppe) auf Dystrophie I = (noch bedingt arbeitsfähig) abgemagert.
Die mengenmäßig und nährwertig zu geringe Verpflegung tat ein Übriges dazu. Meist gab es KAPUSTA (eine magere Krautbrühe) und Hirsekascha (ein fettlos gekochter Brei aus ungeschälter Hirse – „Vogelfutter“), täglich einen Kanten CHLEBA, 400 g Kommissbrot (oft mit Kerarsin gebacken und mit Wasser schwerer gemacht. Manchmal gab es Fisch (20 Mann ein Salzhering) ab und zu als „Festspeisung“ einen Löffel Zucker. – Diese einseitige Mangelkost war meiner Gesundheit wenig zuträglich – heftige Durchfälle, manchmal mit Schleim und Blut waren die Folge; und eines Tages wurde ich mit Avitaminosen ins Lagerrevier verlegt. Da waren etwa 30 Leidensgenossen versammelt – tagsüber hatten wir alle Elefantenbeine, und über Nacht wurden die Beine rappeldürr; dafür hatten wir nun Wasserköpfe, selbst die Augenlider waren dick angeschwollen. Die Therapie war salzlose Kost. Salzlose Gurkensuppe und salzlose Kascha schmecken selbst bei Hunger scheußlich! Aber es hat geholfen, nach drei Wochen arbeitsfähig!