Notizen des Egmont van de Rijnentoens vom Ende 50er- Anfang 60er-Jahre:

Egmont begann sein Studium der Medizin zu einer Zeit, als der Beruf des Arztes keinerlei Aussichten auf materiellen Gewinn bot. Viele Ärzte, die den Krieg überstanden hatten, arbeiteten ohne Entlohnung in Krankenhäusern, manchmal gegen eine Mittagsmahlzeit. Die Mittel in den Hospitälern waren knapp, die Planstellen waren knapp, die Zulassung zu einem „Kassenarztsitz“ war streng limitiert. Egmont begann sein Medizinstudium dennoch, und zwar aus Neigung. Karge Verhältnisse waren ihm vertraut, kam er doch aus einer Lehrersfamilie mit 7 Kindern, in der mit dem Pfennig gerechnet werden musste, in der Worte wie Luxus, Urlaub, Auto, Radio, Telefon, ja Kaffee und Butter weitgehend aus dem Vokabular gestrichen waren, und dies seit jeher. Arbeit ohne Entlohnung schien ihm natürlich. Er fand es auch als normal, wenn die Semesterferien ausgefüllt waren mit kärglich bezahlter Fabrikarbeit, sowie mit ehrenamtlichen Tätigkeiten wie die Leitung von Kinder-Feerien-Lagern, für die es nur ein geringes Taschengeld gab für Briefmarken und „Schuhe besohlen“. Stolz war er darauf, dass er sich bereits nach dem 2. Semester ein eigenes Fahrrad leisten konnte. Damit waren zuerst einmal alle Wege- und Transportprobleme gelöst.

Zu dieser Zeit begann der Staat, seine mittellosen Studenten zu fördern. Egmont kam in den Genuss dieser Förderung (Anmerkung: „Honnefer Modell“ oder Vorgänger-Modell), sodass er nach der ärztlichen Vorprüfung die wichtigsten Lehrbücher selbst kaufen konnte und nicht mehr auf veraltete geliehene Druckerzeugnisse angewiesen war. Schließlich besaß er sogar einen Anzug mit Weste für feierliche Anlässe, denen er früher tunlichst ferngeblieben war.

Es kam noch besser. Ein Stipendium für ein Jahr Auslandsstudium erschien ihm wie der Beginn eines unerwarteten Wohlstands. Obwohl der französischen Sprache kaum mächtig, begab er sich nach Genf, um dort halbtags am Sitz einer internationalen christlichen Organisation zu arbeiten, den anderen halben Tages zu leben und aussichtslose Versuche zu unternehmen, sein Studium „auf kleiner Flamme“ fortzusetzen. Er verlobte sich mit dem Mädchen, das schon wenig später seine Frau werden sollte, die mit ihm zeitlebens durch dick und dünn zu gehen willens war.

Nach diesem Aufstieg folgte ein grausamer Absturz. Zurückgekehrt nach Deutschland eröffnete man ihm, die früher bewilligte Förderung werde gestrichen und zwar endgültig. Man könne nicht einen Studenten fördern, der es sich leisten könne, für ein Jahr ins Ausland zu gehen. Im Übrigen sei dies ja wohl nur möglich, wenn man über finanzielle Quellen verfüge, die man verschwiegen habe. Der Vorwurf des Betrugs wurde zwar nicht laut geäußert, die Förderung war jedoch dahin- endgültig - per Entscheidung des zuständigen Referenten.