Im Folgenden kommt Egmont selbst zu Wort und schildert einige Begebenheiten aus seiner frühen ärztlichen Tätigkeit:

Egmont begrüßte die kleine, etwa 60-jährige lebhafte Frau, die zunächst nicht erkennen ließ, warum sie ins Krankenhaus eingewiesen worden war. Als er nach den Einzelheiten des körperlichen Befindens fragte, stellte sich heraus, dass sie von Zeit zu Zeit einen undefinierbaren Schmerz in der Magengrube verspürte. Bei einer Röntgenuntersuchung hatte sie sich der Befund zahlreicher kalkdichter Gallensteine ergeben. Eine Operation stand als so an mit Entfernung dieses nunmehr nutzlosen Organs. Die Frau hatte aber Angst vor dieser Operation, erkennbar daran, dass sie immer wieder ablenkte, wenn Egmont auf den Kern des Problems zu sprechen kam. So wusste er bald mehr über ihre Familie, von der Flucht aus Schlesien und dass ihre Cousine, die eine bekannte Sängerin gleichen Namens war. Egmont Aufgabe jedoch bestand darin, der Patientin darzulegen, wie notwendig der Eingriff sei, wie groß die Gefahr, dass aus der an sich harmlosen, wenn auch unangenehmen Stein-Gallenblase ein unheilbarer Gallenblasenclubs werden würde oder eine andere Komplikation aufträte.

Er schilderte ihr, wie sehr er selbst im Laufe nur eines Jahres überrascht war zu sehen, dass jeder Patient nach seiner Operation problemlos wieder aufwacht.

Denn gerade die Narkose, in der der völlig willenlose Patient auf Gedeih und Verderb der Sorgfalt und Geschicklichkeit seines Operators ausgeliefert ist, bereitet dem Kranken eine tiefsitzende Angst. Egmont versuchte, diese Angst mit großer Beredsamkeit zu zerstreuen. Er konnte dies mit unbekümmerter Überzeugungskraft tun, war er selbst noch nie in einer solchen Situation gekommen. Andererseits war er auch überzeugt von der statistischen Situation, dass man durch soundso viele Gallenblasenentfernung soundso viele Menschen vor schweren Komplikationen wie etwa retten kann.

Die kleine lebhafte Frau wollte die ganze Angelegenheit noch einmal „überschlafen“, hatte sie doch seit gestern überhaupt keine Schmerzen mehr verspürt und bestünde vielleicht doch die Möglichkeit, dass die neuen Tropfen, die sie zu jeder Mahlzeit nehme, ihr Leiden dauerhaft lindern, ja sogar beseitigt könnten.

Nun, in der Nacht trat wieder ein Schmerzanfall ein, und andere Tags willigte die Frau, wenn auch zögernd ein, sich operieren zu lassen. Die Operation gelang, die Stein- Gallenblase wurde entfernt, die Gallenwege waren frei von Steinen und die Narkose überstanden. Er genoss die Dankbarkeit der kleinen Frau und hatte das erhebende Gefühl, an einem Erfolg mitgewirkt zu haben, indem nach Korrektur eines leidigen Übels ein ganz neues unbeschwertes Leben sich entfalten konnte.

Die Patientin musste für einige Tage liegen, bekam zunächst ihre Nahrung durch Infusionen und wurde schließlich vorsichtig mit leichter Kost wieder an einen normalen Zustand herangeführt. Für den nächsten Morgen bestellte man die Krankengymnastik, die ihr beim ersten Aufstehen helfen sollte.

Als Egmont anderen Tags die Station betrat, musste er erfahren, dass die kleine Frau frühmorgens nach den ersten Schritten mit schwerer Atemnot zusammengebrochen war. Die Anstrengungen der pflegenden und der Ärzte konnten nicht verhindern, dass sie starb. Der Pathologe bestätigte, was man vermuten musste, eine Lungenembolie. Egmont erinnerte sich, dass die Statistik dieses schreckliche Ereignis ebenfalls verzeichnete, jedoch in so seltenen Fällen, dass man nicht damit rechnete. Er war jedoch sein eigener persönlicher Fall, Statistik hin, Statistik her. Das Gefühl, an einem Schöpfungsakt beteiligt gewesen zu sein, schlug um in die als schuldhaft empfundene Gewissens-Qual, als sei er Gehilfe bei der Vollstreckung eines Todesurteils gewesen.

Das Schicksal der kleinen lebhaften Frau ging Egmont so nahe, dass er in aller Zukunft jedes Mal einen kleinen Schrecken bekam, wenn er sich dabei ertappt, jemanden vehement von der Notwendigkeit eines ärztlichen Eingriffs überzeugen zu wollen und die Gegenargumente und Ängste des Patienten demgegenüber klein erscheinen zu lassen. Er erkannte, dass der Arztberuf mit dem Fluch belastet ist, „nach bestem Wissen und Gewissen“ etwas zu tun oder zu lassen, zu raten oder auszureden, ohne sich des Resultats sicher zu sein. Er erkannte, dass das Geheimnis einer erfolgreichen ärztlichen Tätigkeit zwar Wissen und Kenntnisse zur Voraussetzung hat, letztendlich aber in der Hauptsache Vorgänge und Verhaltensweisen beinhaltet, die kaum erklärbar sind. Sie werden deshalb mit Worten umschrieben, die kein medizinisches Lehrbuch kennt, wie „Glück haben“, „einen Riecher für etwas haben“, „eine glückliche Hand-, kein gutes Gefühl bei etwas -, einen komischen Eindruck haben“.